Zeichnung: Gut besuchtes Kongreßbad im Sommer

Kongreßbad-VeteranInnen

29.6.2020

Bei meiner Oma und meinem Opa im Wiedenhofer-Hof ist immer was los. Sie haben den tollsten Balkon auf der Welt. Wir können den ganzen Tag hinunter aufs Kongreßbad schauen, über die hohen Bäume. Wir sehen auch, wenn Buben oder Mädchen über den Zaun ins Bad klettern. "Früher ist das ständig passiert", sagt die Oma. "Ich hab das auch gemacht", sagt sie, "hab ja kein Geld gehabt. Und die wirklich armen Kinder, die hat das Badpersonal ohne Ticket reingelassen."

Der Opa sitzt den ganzen Tag in seinem Sommersessel auf dem Balkon und trinkt Wasser mit Zitrone, Kaffee und am Abend Wein. Er liest Zeitung und dann schläft er ein. Meine Oma macht Kaffee für ihn in der Küche und ich trage ihn dann hinaus zum Opa. Ich nehme die Tasse in beide Hände und passe auf, dass ich nicht stolpere. Der Kaffee schwappt in der Tasse lustig herum. Der Kaffee schwappt aus der Tasse hinaus und rinnt in die Untertasse. Der Opa stellt dann die Tasse auf seine Zeitung und schlürft den Kaffee aus der Untertasse. Und er schlürft extra laut, so gut schmeckt der Kaffee aus der Untertasse.

Der Dankbare und die Starke

Ich bin so gerne bei Oma und Opa, weil sie immer Zeit für mich haben. Sie sind den ganzen Tag da. Sie gehen gar nicht aus dem Haus und wenn sie doch aus dem Haus gehen, dann nehmen sie mich mit. Wenn es regnet, dann können wir trotzdem auf dem Balkon sein, weil der Balkon überdacht ist. Mein Opa ist der Oma sehr dankbar, dass sie bei der Wohnungsvergabe so frech den Mund aufgemacht hat. Die Wohnung mit dem Balkon hätte nämlich im letzten Moment jemand anderer bekommen sollen, dann hat aber meine Oma einen Aufstand gemacht.

Meine Oma ist sehr stark. Sie ist klein, hat stämmige Arme und einen Nacken wie ein Stier. Der Opa sagt auch, dass sie sehr stark ist, aber nur, wenn die Oma nicht da ist. Wenn die Oma da ist, macht immer der Opa den Mund auf und tut so, als wäre er der Stärkere. Aber das Gute ist, dass die beiden sich verstehen. Sie sind schon so lange auf der Welt, sagen sie immer, dass sie sich wegen irgendwelcher Kleinigkeiten nicht mehr streiten wie meine Mama und mein Papa. Sie streiten wirklich nie, die Oma und der Opa, und glücklicherweise sind sie beide noch ziemlich gesund.

Beifall für den Turmspringer

Der Opa hat eine große Vergangenheit als Turmspringer im Kongreßbad. Im Wohnzimmer hängen Fotos von ihm. In Schwarz-Weiß. Da steht er mit ausgestreckten Armen auf dem zehn Meter hohen Turm und seine Haare sind nach hinten geschleckt, als hätte er sich Öl hineingegeben. Er hat ganz viele Muskeln auf dem Foto und er sieht braun gebrannt aus. Er hat ein ganz ein konzentriertes Gesicht.

Der Opa sagt, dass die Leute laut geschrien und geklatscht haben, wenn er vom Turm heruntergesprungen ist. Alle Menschen sind aufgestanden und haben sich an das große Becken gestellt. Es hat damals nur ein Becken im Kongreßbad gegeben. Hundert Meter lang war das. Und das Wasser war sehr kalt. Manche Menschen sind liegengeblieben und haben sich den Opa aus dem Liegen angeschaut. Der Bademeister hat die Musik ausgeschaltet, alle waren still und dann ist der Opa gesprungen, hat sich gedreht, hat Saltos gemacht, hat sich durchgestreckt und ist gerade wie ein Brett ins Wasser eingetaucht. Und dann ist der Applaus losgegangen.

Turnerei im Wohnzimmer

Ich habe eine lustige Idee gehabt. Ich habe dem Opa im Wohnzimmer ein Stockerl hingestellt und ihn gefragt, ob er da runterspringen kann. Und er wollte zuerst nicht aufstehen, sondern in seinem gemütlichen Sommersessel auf dem Balkon sitzenbleiben und ich habe ihn gezogen und gebettelt und dann ist er doch gekommen und ganz vorsichtig auf das Stockerl hinaufgestiegen. Er ist wirklich schon sehr, sehr alt. "Bravo!", habe ich gerufen und in die Hände geklatscht. "Und jetzt streck die Arme aus, Opa!", habe ich gerufen und der Opa hat die Arme ausgestreckt und ziemlich gewackelt und hat dann ganz von selbst seinen Kopf gerade ausgestreckt und so konzentriert dreingeschaut wie auf dem Foto und ich habe in die Hände geklatscht und mit den Füßen auf den Boden getrampelt.

Da ist die Oma reingekommen und hat gesagt: "Was ist denn da los?" und dann hat sie den Opa gesehen und hat zu lachen begonnen und die Hände zusammengeschlagen, aber der Opa hat sich nicht von ihr stören lassen, hat die Arme und Beine noch ein bisschen stärker durchgestreckt und ist dann gesprungen. Die Oma hat geschrien und wollte den Opa halten, aber der Opa ist sicher gelandet wie ein Skispringer. "Siehst du!", hat der Opa gesagt, "ich habe das nicht verlernt!"

Schüsse im Februar

Manchmal erinnert sich der Opa daran, wie vom Kongreßpark aus auf den Sandleitenhof geschossen worden ist. Wenn etwas knallt, dann erinnert er sich automatisch an die Schüsse. Das kann ein Auspuff sein, ein Deckel, ein Fenster oder wenn der Wind in der Wohnung eine Tür zuschmeißt. Er war noch ein Kind, als geschossen worden ist. Er hat mit seiner Mama in einer Seitengasse gewohnt. Es war still, dann ist gerufen worden, dann ist geschossen worden. Es sind auch Menschen gestorben. Ganz in seiner Nähe, dort, wo die Leute heut mit ihren Hunden spazieren gehen und mit ihren Autos durch die Gegend fahren.

"Was haben die denn getan, die Leute im Sandleitenhof?", hab ich einmal den Opa gefragt. "Sie waren anderer Meinung", hat der Opa gesagt. "Und deswegen ist auf sie geschossen worden?" "Ja, manchmal ist das leider so." "Und kann das wieder passieren?" "Möglich ist alles, aber ich hoffe es nicht." Die Oma hat gesagt: "Der Opa und ich haben viele schlimme Dinge erlebt, deswegen sind wir misstrauisch. Aber eines sage ich dir: Menschen sollten niemals auf Menschen schießen. Dafür sind wir Menschen, dass wir miteinander reden."

Prinzipien und Nostalgie

Ich habe im Kongreßbad am liebsten die Rutsche. Sie ist lange, hat viele Kurven und am Ende geht die Rutsche noch unter dem Wasser weiter. Ich mag auch die gelben Kästen in der Garderobe. Und die vielen roten und weißen Bretter. Mein Opa sitzt gerne oben im Buffet und schaut hinunter zum Becken. Da liegen viele Menschen auf der Wiese. Und es gibt einen Weg unter hohen alten Bäumen vom Becken hinauf zum Buffet. Es ist vieles noch so, wie es früher einmal war, aber vieles ist auch anders geworden. Dem Opa gehen seine alten Freunde ab. Es gibt nur mehr ganz wenige. Auf den Fotos im Wohnzimmer sind sie alle jung und lustig und wenn sie sich im Bad heute treffen, sind sie eben alt und lustig.

Meine Oma wird schnell ungeduldig, wenn sie mit den alten Leuten zusammensitzt, obwohl sie selber schon alt ist, und geht dann lieber schwimmen. Sie schwimmt heute noch sehr sportlich, mit Badehaube und Schwimmbrille. Sie hat eine Freundin, die ist ganz ähnlich wie sie. Sie tun beide nicht so auf feine Dame. Sie sagen, was sie denken. Sie tun, was sie für richtig halten. Sie sind eben wirklich sehr starke Frauen.

Interessante Links zur Geschichte

Historische Infos im Wien Geschichte Wiki:

Zeichnung: Sandra Biskup
Text: Simon Kovacic